Verschissenes Beige, dachte Sem Enervis, scheiß Farbe. Nicht mal ne richtige Farbe. Sieht aus wie verpisstes Weiß. Wie die Robe von dem Geldfresser auf DDK, bevor ich ihm das Gesicht mit dem 5er Energiestreuer wegradiert und ihm seine Credits abgenommen habe.
Sems Lachen prustete zwischen den ausgetrockneten Lippen hervor und verlor sich in der beigen Weite von Asar. Als ob der Humor der Situation so flach war, dass selbst Sem ihn nicht halten konnte.
„Scheiß Farbe, scheiß Hitze, scheiß Stille.“
Die Worte erklangen ohne sein Zutun. Das Mantra formte den notwendigen Rhythmus in seinem Kopf, um seine Füße fortzubewegen. Sie dazu zu bringen, die scheinbare Endlosigkeit dieses Planeten zu bekämpfen, der ausschließlich aus Sand bestand, der jeden Schritt zu verschlingen schien. Sems Füße verloren sich darin, jedes Mal, wenn sie Widerstand suchten, lediglich einen Hauch, eine verwehte Idee von Untergrund vorfanden und seine überstürzte Flucht aus dem Außenposten Asar 3b zu einem monotonen Wandern degradierte.
Die Nachricht hatte ihn aus einem trunkenen, traumlosen Schlaf gerissen. Sofort wusste er, dass er das unterirdische Zimmer der Pension nicht mehr durch das lange System von Gänge und Treppen verlassen konnte. Er hatte sich seinen Energiestreuer und die Tarnrobe gepackt. Mit den ebenfalls sandfarbenen Stiefeln trat er die Abdeckung des Lüftungsschachts ein. Die Überreste der Gitterstäbe schnitten in die durch Stimpacks aufgepumpten Muskeln seiner Schultern. Doch der blaue Nebel, den er sich gespritzt hatte, ließ ihn den Schmerz ignorieren. Eine Illusion von Macht durchfloss seinen übergroßen Körper und ließ ihn die zwei Meilen Lüftungsschacht in einer halben Stunde überwinden. Die Hände wundgescheuert von dem porösen Metall des Schachts, die Knie, obwohl durch seinen Funktionsanzug vor der Reibung geschützt, fühlten sich an, als seien sie von heißen Nägeln durchbohrt worden. Dennoch erlaubte sich Sem keine Pause. Auch nicht als er die Oberfläche des Wüstenplaneten erreichte. Er musste weiter. Er musste fliehen. Denn er hatte Sem gefunden.
Ein Tagesmarsch entfernt vom Außenposten 3b lag eine Servicestation für Raumschiffe und Gleiter. Nicht viel mehr als ein Schrottplatz, dennoch war es seine einzige Hoffnung, von dem Planeten wegzukommen. Zumindest ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Dann würde er sich die Beute holen, die nun sicher versteckt war. All die Credits. Nur ein Tagesmarsch und eine paar Tage Raumflug entfernt.
Nun in Mitten dieses elenden Beige fragte er sich jedoch, was für ein Mann in dieser Wüste überhaupt marschieren konnte. Die Sonne näherte sich ihrem Ziel, dem ebenfalls beige verschwommenen Horizont, jedenfalls schneller als er. Der Gedanke brachte Sems eh schon überladener Verstand zum Brodeln. Wut aus Müdigkeit entsprungen, nicht der üblichen Mixtur von Drogen und Synthohol. Freilich auch Wut aus der ständigen Angst. Die Angst vor ihm. Ein Gefühl, dass er nicht mochte. Es nahm ihm die Kontrolle. Das hasste Sem. Und es war nicht seine Art. Er hatte sich nie daran gewöhnt, Angst zu empfinden.
In der Nacht würden die Wüstenschlangen herauskommen. Drei Mann lange Geschöpfe, die sich durch diesen scheiß beigen Sand gruben, schleimig, augenlosen, nach Verwesung stinkenden, immer auf der Suche nach den wenigen Happen Fleisch, die sich in die offene Wüste verirrten. Und natürlich waren auch sie beige, mit dicken blauen Venen, die unter der Haut pulsierten. Dennoch fürchtete sich Sem nicht vor ihnen. Gleich nach seiner Ankunft auf Asar hatte er die betrunkene Wette abgeschlossen, eines dieser Dinge zu erlegen.
„Keine Energiewaffen,“ hatte der fette Soldat zwischen den feuchten Lippen herausgepresst. „Bloß mit `ner Klinge.“
Und so hatte Sem es getan. Hätte er wahrlich gewusst, wie abscheulich diese fetten Würmer stanken, hätte er den Einsatz von hundert Credits höher angesetzt. Die Trunkenheit und der blaue Nebel hatten ihn indes unter dem Gejohle der anderen Gäste der einzigen Kneipe des Außenpostens in die Wüste torkeln lassen. Eine Stunde später war er zurückgekommen, der Funktionsanzug blau gefärbt vom schleimigen Blut, hatte er den schlaffen Fleischwurm hinter sich gezogen.
Nein, Sem Enervis hatte nicht oft Angst. Doch vor ihm hatte er Angst. Und er war an diesem Morgen in Asar Stadt gelandet. Der Administrator des Raumhafens hatte ihm die Nachricht geschickt. Nun konnte Sem ihm auch mitteilen, wo die Leiche seiner Tochter vergraben lag. Aber das hatte keine Eile. Zuerst musste er dem Inspektor wieder entkommen. Wie auf Rasma und zuvor in Dunkelhaven und davor auf DDK 7. Zumindest war die Beute sicher versteckt. Und Sem hatte gedacht, hier auf Asar auch für sich selbst, einen sicheren Unterschlupf gefunden zu haben. Weit weg vom Konsortium und seinem Sicherheitspersonal. Nur eine Kompanie Soldaten und ein paaren Huren und genügend Synthohol.
Doch der Inspektor hatte es ihm vermasselt, hatte ihn schon nach drei Wochen gefunden. Zuerst war Sem wütend gewesen, aber dann hatte er sich an die Geschichten der anderen Jungs erinnert, die der Inspektor gejagt hatte. Einnasenloch Joe, der sich nach einer Stunde Verhör die linke Seite seiner Nase abgeschnitten hatte. Und der kleine Klus, der auf der Flucht gestürzt sein sollte. Nicht mal seine eigene Mama erkannte ihn bei der Leichenschau wieder. Der Schrottkönig von DDK 4 lag vier Monate auf der Medistation nachdem der Inspektor ihm zum Verkauf einer Graumateriebombe ein paar Fragen gestellt hatte. Die Liste setzte sich endlos fort. Und jeder wusste es. Sogar Sem hatte es begriffen. Vor dem Inspektor musste man Angst haben.
Schließlich war es diese Angst die Sem weiter durch diesen verschissenen Sand stampfen ließ, mühsam jeden Schritt erkämpfend. Und überall dieses elende, verpisste Beige.
Das plötzliche Schwarz erschien Sem zuerst wie eine Erlösung.
Zumindest mal was Anderes.
Kurz zuvor hatte er einen Art Stoß oder Tritt oder den Aufprall einer Ladung Graumaterie abgefeuert aus einer 1er Präzisionsschulterenergiewaffe der vierten Generation auf seinem Rücken gespürt. Jedenfalls erfasste ihn das Gefühl von plötzlicher Beschleunigung. Der Eindruck nicht mehr aufrecht zu stehen. Der schnelle dennoch sanfte Wind auf den Wangen. Er fiel auf sein Gesicht.
Voll auf die Fresse.
Und die füllte sich zugleich mit Sand. Der nächste Eindruck war eben jenes Schwarz.
„Ich hatte letzte Nacht einen Traum von einem Stein, einem kleinen, grauen Stein. Einen Traum, den ich nicht deuten kann. Nun frage ich mich, ob sie mir helfen können, Herr Sem Enervis.“
Die Stimme klang so fein, dass sie kaum das Schwarz von Sems Bewusstlosigkeit durchstoßen konnte. Dennoch vermochte sie ihn sanft zu packen und ihn langsam ins Diesseits zu ziehen. Nichtsdestotrotz beschränkte sich seine Wahrnehmung auf die Stimme. Das Schwarz blieb. Auf seiner Haut spürte er weder Wärme noch Kälte. Seine Nase atmete kein Geruch ein. Er konnte sie nicht einmal spüren. Genauso wenig wie den Rest seines Körpers. Einzig das Gehör funktionierte. Denn wie sollten sonst die Worte zu ihm gelangen.
„Der Stein stammte offenbar aus einem Gewässer, denn die Form war rund, nicht ganz regelmäßig, aber in seinem Regelverstoß stimmig. So etwa wie ein Ei.“
Die Worte schienen gleichzeitig weit und nah zu erklingen, laut und leise, jedoch mit einer konstanten Sanftheit, die Sem bislang nie von einem Mann gehört hatte.
„Ohne den Stein zu berühren, wusste ich, dass sich die Oberfläche vollkommen glatt anfühlte.“
Und männlich war diese Stimme auf jeden Fall. Sem wusste zum wem sie gehörte. Ihr Besitzer war niemand anderes als der Inspektor. Inspektor Fer Ox.
„Mein erster Gedanken in dem Traum war, dass ich ihn unbedingt berühren musste. Ein Verlangen so intensiv, dass mir Arme und Hände wuchsen. Als ich diesen kleinen, runden, glatten, grauen Stein schließlich berühren konnte, hielt die Erfüllung jedoch nicht lange an. Sogleich wurde ich von der Sorge erfasst, dass ich den Stein irgendwann wieder hergeben müsste. Kennen sie dieses Gefühl, Herr Enervis?“
Sems Antwort blieb aus. Er konnte sich nicht auf den Sinn der Worte konzentrieren, er versuchte nur herauszufinden, woher sie stammten. Wie ein rasmanischer Flugwurm fühlte er sich. Unfähig sich zu bewegen, ja nicht mal sich wahrzunehmen, fand er die Kontrolle nicht, die ihm sein muskulöser Körper normalerweise verleite.
„Ich glaube, ich habe eine Ahnung, was sie gerade denken. Wie soll ich über einen Stein diskutieren, wenn ich ihn nicht einmal sehen kann. Das lässt sich natürlich ändern.“
Im nächsten oder besser ersten Augenblick verschwand das Schwarz und wurde durch einen kleinen, etwas dicklichem Mann mit grauen Haaren in einer grauen hochgeschlossenen Robe ersetzt, der ihn sanft anlächelte. Sein Arm überwand das steife Material seiner Robe. Und er hielt Sem einen kleinen Stein entgegen.
„Dies ist der Stein. Erkennen sie ihn wieder?“
Sem hatte keine Ahnung, von was der Inspektor sprach. Er versuchte sich in Gedanken auf die bevorstehende Folter vorzubereiten. Der Inspektor würde versuchen das Versteck seiner Beute aus ihm herauszuholen. Mit Schmerz. Mit viel Schmerz. Sem jedoch kannte Schmerz. Die gebrochenen Nasen und Rippen, während all der Kneipenschlägereien. Das Stück Schulter, das ihm der Leibwächter auf Rasma mit einer Ladung Graumaterie wegradiert hatte. Und vor allem die blauen Flecken im Waisenhaus. Schmerzen war er sich gewohnt. Er würde damit umgehen können. Irgendwie ging das immer. Schreien, Umsichtreten, Zurückschlagen. Doch dazu würde er seinen Körper brauchen und der schien ihm nach wie vor zu fehlen. Noch immer spürte er… Er spürte nichts.
„Sehen sie seine Farbe? Die graue Farbe des Steins?“
Sem konnte nicht einmal sprechen, geschweige denn antworten.
„Können sie seine Form erfassen, die glatte Oberfläche auf ihrer Hand spüren.“
Tatsächlich wurde in dem Moment ein Sinneseindruck geboren. Etwas das etwas berührte. Seine Hand, er spürte seine Hand und eine kühle Sanftheit darin. Sofort kam ihm ein Gedanke, eine Idee sich zur Wehr zu setzten. Er versuchte den Stein zu packen. Nichts geschah.
„Was ist das für ein Gefühl? Diese perfekte Form zu halten? Ergeben sie sich dem Eindruck, Herr Enervis. Lassen sie es zu!“
Was soll´s, dachte Sem, dann fühl ich eben diesen verdammten Stein.
Er konzentrierte sich auf den Eindruck. Die kühle Glätte auf seiner Haut. Sanft und grau, wie dieser kleine Mann. Darauf erfasste ihn der Stein. Der Stein drang in seinen Körper ein. Oder war es bloß das Empfinden des Steins. Sem wusste es nicht. Sein Blick blieb auf den lächelnden Inspektor fixiert. Das Gefühl jedenfalls von kühler, grauen Glätte erfüllte seinen Körper. Selbst in seinem Kopf, in seinem Bewusstsein existierte bald nichts mehr außer diesem grauen Stein. Jeder Gedanke wurde von dem Stein verdrängt.
„Herr Enervis, können sie sich an diesen Stein erinnern?“
Sem wollte ein Nein äußern und zu seiner Überraschung formte sich der erste Laut, der Inspektor unterbrach ihn jedoch: „Versuchen sie sich zu erinnern. Dieser graue, runde, glatte, kühle Stein. Sie haben ihn schon einmal gesehen.“
Und tatsächlich formte sich langsam ein Bild in Sems Kopf. Undeutlich, ohne Farbe, ohne Bestimmung, noch Sinn.
„Er befindet sich in der Nähe eines speziellen Orts. In der Nähe ihrer Beute, nicht wahr?“
Tatsächlich wurde das Bild schärfer, die farbigen Lichter der Leuchtreklamen in Dunkelhaven erhellten das Bild.
„Ja.“ sprach er aus und spürte kurz etwas Warmes über seine Lippen fließen.
„Der Stein liegt gleich davor,“ half ihm der Inspektor.
„Ja, er liegt am Boden.“
„Sie haben ihn fallengelassen, Herr Enervis. Können sie den Stein wieder aufheben?“
Sem nun vollkommen in das bunte Treiben der Raumstation Dunkelhaven eingetaucht, versuchte sich zu bücken. Doch sein Körper gehorchte ihm nach wie vor nicht. Er bündelte all die gewohnte Kraft seiner Muskeln. Nichts rührte sich.
„Ich kann nicht …“
„Natürlich können Sie. Sie müssen es bloß aussprechen.“
Sem wollte es zumindest versuchen.
„Ich streck´ meine Hand aus.“
Er nahm eine zögerliche Bewegung wahr.
„Beschreiben sie es. Wie sieht es aus, wenn sie ihre Hand ausstrecken.“
„Meine Hand. Flackerndes Licht von einer kaputten Leuchtkugel. Die Finger nähern sich dem Stein.“
Und tatsächlich senkte sich sein ganzer Körper zu dem grauen Stein. Dann wieder Stillstand. Er wusste, dass er weiterreden musste.
„Der Metallboden ist schmutzig, Reste von Erbrochenem links neben dem Stein, verdecken eine eingestanzte Nummer.“
„Was können sie von der Nummer erkennen?“
Sem wollte sich erinnern. Er musste sich erinnern, er musste diesen Stein berühren. Er musste ihn fassen, behalten.
„Da ist eine Vier und eine Fünf.“
Dann fiel es ihm wieder ein. Seine Hand konnte den Stein beinahe berühren.
„Es ist die Andockschleuse vierundfünfzig C. Die Bodenplatte davor ist lose. Dort …“
Sem wollte den Stein gerade packen. Da, als würde jemand einen Schalter umwerfen, wurde er aus Dunkelhaven herausgerissen, zurück in die Wüste von Asar. Der kleine, rundliche Mann sah ihn von oben herab an. Das Lächeln war verschwunden, als ob es nie da gewesen wäre. Sem lag auf dem Rücken unter ihm der heiße Sand.
„Vielen Dank, Herr Enervis.“
Der Inspektor beugte sich vor und nahm etwas von Sems Stirn. Es war der kleine, runde, glatte Stein. Lediglich seine Farbe hatte sich verändert. Das Grau war einem glänzendem Rot gewichen. Und als der Inspektor den Stein nun betrachtete, löste sich ein Tropfen von ihm und fiel auf Sems Lippen. Metallischer Geschmack breitete sich sofort in seinem Mund aus.
„Nun, da ich mich mit ihnen austauschen konnte,“ sagte die Stimme, bislang sanft aber nun gleichzeitig ausgetrocknet, „bin ich zum Schluss gekommen, dass der Stein etwas mit meinem neuen Auftrag zu tun hat. Ich soll einen Anspruch auf die Krone überprüfen. Und sie wissen wohl, was man über den Stein in einer Krone sagt, Herr Enervis.“
Sem spürte wieder seinen ganzen Körper. Er hätte sich auch bewegen können, wenn da nicht diese Schmerzen gewesen wären, an einem Dutzend Stellen. Gleichzeitig konnte er seinen Blick nicht von diesem kleinen Stein lassen. Er wollte ihn. Er wollte seine Sanftheit.
„Die Mönche sagen: Er ist der Leitstern eines jeden Führers. Ist er hell und klar, so ist auch die Zukunft des Mannes, der ihn trägt. Wer jedoch einem getrübten Stein folgt, der begibt sich auf ungewisse Pfade.“
Die Worte des Inspektors waren weit entfernt. Sem versuchte seinen Arm nach dem Stein auszustrecken. Durch die Schmerzen hindurch trieb er seine Muskeln an.
„Sei es wie es sei, Herr Enervis, ich muss sie nun verlassen. Ich bin mir indessen sicher, dass sie eine neue Beschäftigung finden werden.“
Damit holte der kleine, rundliche Mann mit überraschender Kraft aus und warf den Stein in weitem Bogen in die Wüste. Sems Blick zuckte in die Richtung der Flugbahn. Mehr Schmerz. Heiße Nadeln in seinem Kopf. So nahm er den Inspektor gar nicht mehr wahr. Sein ganzes Bewusstsein folgte dem Stein. Er hörte die sich entfernenden Schritte von Inspektor Fer Ox nicht mehr, auch die Aggregatoren des Personengleiters wurden ausgeblendet. Ausgeblendet von dem Verlangen nach diesem kleinen, runden, glatten Stein. So erhob er sich vor Schmerzen schreiend auf alle Viere und kroch in Richtung des Steines in dieses verpisste, endlose Beige von Asar hinein.